Eine Frage der Zeit…

Es gibt ja bekanntermassen zwei Möglichkeiten, an seine Fische zu kommen: Während der eine Teil der karpfenfixierten Kollegen sich sozusagen seine Fische „erschläft“, ist der andere Teil damit beschäftigt, sich das Hirn zu zermatern, um eventuelle Standorte oder Fressplätze ausfindig zu machen, und sich an die Gegebenheiten anzupassen.
Sommerliche Wassertemperaturen sind dabei natürlich in die Vorüberlegungen mit einzubeziehen- und so haben Martin und ich uns für die tieferen Teile eines unserer Hausgewässer besonders interessiert, und diese genauer unter die Lupe genommen.
Nach den letzten Aktionen an anderen Gewässern, die allesamt recht zufriedenstellend für uns verlaufen sind, hatten wir uns auf einen Taktikwechsel geeinigt- der offensichtlich zumindest ein bisschen aufgegangen zu sein scheint…

Der hohe Bestand an Friedfischen anderer Arten macht es ziemlich schwer, Karpfen auszuselektieren- übrigens nicht nur an graserdiesem Gewässer- und während sich die Brachsen- Truppen an Martins Spots formierten, sorgten bei mir Unterwasserbewohner asiatischer Abstammung für ein wenig „Action“: Gegen 21.00 Uhr erfolgte der erste Biss, dem im Verlauf der nächsten drei Stunden noch zwei weitere folgen sollten.
Martin wurde derweil förmlich von den Brachsen überrannt, und hätte wohl einen Shuttleservice vom Spot zum Ufer einrichten können- ganze 6 Mal ruderte er in der zweiten Nachthälfe und teilweise bei Regen die Strecke ab, legte seine Köder aus, um dann ca. 30 Minuten später wieder EXAKT das Gleiche zu tun, nachdem er einen weiteren Schleimer erfolgreich hatte anlanden können. Jedem anderen wären da wohl die Sicherungen durchgebrannt, und er hätte die Flinte ins Korn- bzw. die Rute in die Büsche- geworfen. Aber Geduld ist eine Tugend, und so hat ers durchgezogen. Am Ende der Nacht standen stolze neun Brachsen, die teilweise 75 cm Länge erreicht haben, auf der Habenseite von Martin, der sich wohl auch jetzt noch nicht sooo ganz sicher ist, ob er sich drüber freuen soll oder nicht ;).Gegen 04.00 Uhr bin ich dann mal an der Reihe mit „Distanzrudern“, nachdem sich ein Graser an meine weite Rute „verirrt“ hat. Also neuen Köder ans Haar gepackt, Strecke abgerudert, und wieder ab in den „Heimathafen“, wo das noch halbwegs warme Bett auf mich warten sollte…
Gerade in dem Moment, als mein Hintern die Liege berührt, gibt mir mein linker Delkim, der eben die Distanzrute „beaufsichtigte“, zu verstehen, dass sich da was am anderen Ende der Leine tut: Die vereinzelten Pieper lassen mich schon wieder Schlimmeres befürchten (Schichtwechsel im Shuttle- Service? ;)),  schlagen aber nach ein paar Sekunden in einen Dauerton um, und der Freilauf gibt unter Protest der Rolle Schnur frei: Ein lupenreiner Fullrun, der sich wie Balsam auf meine von Fall- und Schwingbissen geplagten Ohren legt…

Innerhalb eines Wimpernschlags bin ich, barfuss und ohne Brille, an der Rute, nehme diese auf- und spüre erstmal gar nichts.
Also fange ich an, Schnur aufzunehmen, und die Spannung zu halten, während ich einbeinig und faktisch „blind“ auf der kleinen Fläche zwischen Pod und Zelt hin- und hertanze…
Nach ein oder zwei Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen, kann ich dank der aufgesetzten Brille wieder sehen, und kremple gerade meine mühsam an die Füße gesteckten Watstiefel hoch, als ich die erste Gegenwehr spüre: Ein dumpfer Schlag geht durch die Rute, und mein Gegenüber legt sich so ins Zeug, dass ich aus lauter Ehrfurcht die Bremse ein wenig lockere…

20er_zeilerDamit beginnt das Kräftemessen eigentlich erst, der gehakte Karpfen zieht ein paar Meter vor mir seine Bahnen, legt weitere Fluchten hin, und ich bete, dass der Longshank hält, den ich mit diesem Drill das erste mal richtig auf den Zahn fühlen kann- irgendwie verfluche ich meinen Rig- Fetisch in Momenten wie diesen immer wieder…
Am Ende geht dann doch alles gut- als ich ihn im Kescher habe, rufe ich Martin, der von alledem bisher nichts mitbekommen hat, und den ich auch wegen seines Nebenjobs im „Shuttleservice“ nicht unnötig aus dem Bett jagen wollte :D.
Die Wage bleibt mit (vollgesaugter) Matte bei ca. 30 Pfund stehen, und nach Abzug der Matte kommen wir auf ein Fischgewicht von rund 10kg- was mir aber eigentlich völlig egal ist, in Anbetracht des wunderschönen Zeilers, der sich da zu einem Landgang hat überreden lassen…

Kurze Zeit später, die Rute liegt wieder auf ihrem Platz im Pod, und ich auf meinem Platz im Zelt, starre ich die Decke meines Bivys mal wieder an. Der immer intensiver werdende Lichtschein von draußen lässt die Dämmerung erahnen, und ich denke mir noch während des Übergangs ins Land der Träume: „Wär doch optimal, wenn jetzt noch einer abläuft“…

Es läuft tatsächlich noch einer ab, und zwar drei Stunden später, wie aus dem Nichts. Meine Beine sind schneller als meine Augen, und so öffne ich diese erst, als ich schon vor der Rute stehe, und diese gerade in die Hand nehmen will. Mein Kopf dröhnt kurze Zeit, als ich das zweite Mal an diesem Samstag morgen versuche, Kontakt zum Fisch zu bekommen- gesund kann das nicht sein, so aus dem Schlaf gerissen zu werden, und krankhaft ist es, wenn man schon IM SCHLAF automatisch anfängt einen Bewegungsablauf abzuspulen…
Zumindest das Brille aufsetzen und Watstiefel anziehen klappt dieses Mal ganz gut, und so stehe ich kurze Zeit später wieder im Wasser, nachdem ich auch dieses Mal sicher bin, einen Karpfen gehakt zu haben…
Einige Fluchten später bekomme ich ihn das erste Mal zu Gesicht, es ist einer der wuchtigen Spiegler, die den Reiz dieses Gewässer ausmachen.
Etwas über 15kg bringt dieser Fisch auf die Waage, als Martin und ich ihn nach dem abermals erfolgreichen Longshank- Drill vermessen- mein erster 30er 2008, und gleichzeitig ein „alter Bekannter“, mit dem ich bereits 2007 die Ehre hatte- in Anbetracht des Herbst- Fressens brachte er damals allerdings ein Pfund mehr auf die Waage.

30er_spiegler

Damit wars dann auch schon Samstag morgen. Martin und ich gönnten uns noch einen Kaffee, ein paar heiße Wiener und einen ausgiebigen Ratsch am Wasser, bevor wir gegen Mittag die Segel strichen, und uns auf den Heimweg machten. Derartige nicht kalkulierte (und nicht kalkulierbare) Erfolgserlebnisse geben Dampf für die nächsten Wochen, in denen wir fischereilich mal wieder den Blick über den Tellerrand wagen wollen (und euch darüber hier natürlich auf dem Laufenden halten werden).
Ich wünsche euch jedenfalls, wo immer nötig, den Blick über den Tellerrand, und den Antrieb, das dann auch umzusetzen.
Dann stehen euch sogar die Tore offen, von denen ihr vorher noch nichtmal gewusst habt, dass sie da sind ;).

Never stop thinking!

Matthias

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.